8. Übung: Wo Xue Xi Yi – Im Liegen in die Ruhe eintreten/ XiYis Schlafübung

Zurück zur Übersicht

Wo Xue Xi Yi – Im Liegen die Stille erlernen. Kalligraphie und Anleitungsskizze
Wo Xue Xi Yi – Im Liegen die Stille erlernen. Kalligraphie und Anleitungsskizze

Mit der 8. Übung geht der bewegte Teil des Fan Huan Gong zu Ende. Nachdem die Körperseele PO sich erleichtert und die Geistseele HUN ihr Schattendasein beendet hat, Drache und Tiger sich gepaart haben, Kan und Li vereinigt sind, der Silberfaden zum Silberfluss sich ausgeweitet hat, ist der aktive Teil des Fan Huan Prozesses beendet.

Was jetzt zum Übungsinhalt wird, kann nicht mehr aktiv oder Ziel führend angestrebt werden. XiYis Schlafübung dient nicht mehr dazu irgendetwas zu erreichen, irgendwo hin zu kommen. Aus dem absichtsvollen Üben und Tun entwickelt sich jetzt ein Geschehenlassen, ein Nicht-Tun, verstanden als absichtslose Ruhe und verballhornt mit dem Zustand des Schlafens. Das Yang schlägt um in das Yin.

Das ist eigentlich ein Witz angesichts der äußerst anspruchsvollen Bewegung, die den Übenden mit der 8. Übung erwartet. Wie ein/e Bodenturner/in in der einbeinigen Standwaage stehend soll innere und äußere Ruhe bewahrt und ähnlich einem Flamingo geschlafen werden. Das hat schon manchen Übenden fast zur schieren Verzweiflung gebracht, weshalb es dankenswerterweise auch eine 2. Version des Übungsablaufes gibt.

FanHuanGong Achte Übung
Professor Cong praktiziert dieIm Liegen Hören und Sehen ohne Wahrzunehmen, Xiyi´s Schlafübung (Wo xue xiyi)

In der Geschichte des Qigong hat es in der Vergangenheit immer wieder Bestrebungen gegeben, den menschlichen Schlaf zu beeinflussen. In der „Quanzhen-Schule der Vollkommen Wirklichkeit“ (12. Jhdt. n. Chr.) war mit der Losung „Den Schlafdämon bekämpfen“ die Absicht verbunden, den Schlaf durch die Meditation zu ersetzen. Und tatsächlich hat die moderne Hirnforschung beim Vergleich von tiefen Meditationszuständen und der traumlosen Tiefschlafphase gewisse Übereinstimmungen bei den gemessenen Hirnströmen festgestellt.

Es gab aber auch Bestrebungen den Schlaf nicht abzuschaffen, sondern Übungen des Nei Gong, des Stillen Qigong, in den Schlaf hinein fortzusetzen. Einer der berühmtesten Vertreter dieser Übungstradition war XIYI, ein Daoist zur Zeit der 5 Dynastien (907-960 v. Chr.), der angeblich etliche Schlafübungen erfunden und praktiziert haben soll. Sehr zum Leidwesen der „Freunde des horizontalen Übens“ sind diese Übungen in Deutschland nicht besonders häufig in Umlauf gebracht worden, obwohl sie gerade für Kranke und Bettlägerige eine gute Alternative zu stehenden oder sitzenden Übungen bieten.

Woa Chan Fa - Schlafübung
Woa Chan Fa – Schlafübung

Betrachtet man die obige Abbildung, so weist sie eine gewisse Ähnlichkeit mit der Position auf, die der Körper, allerdings einbeinig stehend, in der 8. Übung des Fan Huan Gong einnimmt. Zu Beginn der Übung wird der Körperschwerpunkt auf das rechte Bein verlagert, das linke Bein wird angewinkelt angehoben und die Hände gehen seitlich des Rumpfes hoch, bis sie sich über der Kopfspitze, dem Bai Hui, annähern, ohne sich zu berühren. Jetzt neigt sich der Rumpf nach vorne, die Hände sinken zum Boden und das angewinkelte linke Bein wird nach hinten gestoßen und gleichzeitig aus der Leiste heraus seitlich angehoben. In einer schöpfenden Bewegung werden die Hände anschließend nach oben zur Brustmitte geführt, wo sie lockere Fäuste bilden. Die rechte Faust geht dann zur rechten Schläfe (TaiYang), die linke zum Akupunkturpunkt Gallenblase 30 (HuanTiao), am Trochanter des Gesäßes links. Indem man nun das angehobene linke Bein streckt und die Vorstellung in die Zehenspitzen schickt, ergibt sich eine Position, die man beim Bodenturnen als „Standwaage“ bezeichnet. Sie ist die eigentliche „Schlafposition“ (siehe Foto mit Prof. Cong unten), die noch eine besondere Herausforderung bekommt, falls man versucht den liegenden Rumpf aus den Hüften heraus nach oben zu drehen, so dass die Brust Richtung Himmel zeigt. Abschließend richtet man sich wieder auf und zieht das linke Bein in einer kreisenden Bewegung nach vorne. Wenn der linke Fuß wieder auf den Boden sinkt, geht auch die rechte Schläfenfaust zur Hüfte nach unten.

Vor der seitenverkehrten Wiederholung der Übung auf dem linken Standbein erfolgt eine regulierende Kreisbewegung der Arme (Heben – Öffnen; Senken – Schließen), so als würde man eine große Kugel umfassen, die dann, sich verdichtend, ins untere Dantian versinkt. Gemäß dem Leitspruch „Den Ursprung umfassen, um das Eine zu bewahren“ bilden die Tigermäuler beider Hände vor dem Unterbauch eine Raute; man verweilt für einen Moment, das Qi sammelt sich im unteren Dantian.

Im Lehrgedicht heißt es dazu:

XiYis Schlafübung ist etwas ganz natürliches. Sonne und Mond (Yang und Yin), die ganze Welt, haben Platz in meinen Händen, in meiner Wesensnatur spiegelt sich der Himmel. Auf dem Fluss fährt das Fahrzeug hinauf bis zum Gipfel des Kunlun-Gebirges. An nichts in dieser Welt sein Herz hängen, das ist Unsterblichkeit.  

In der zweiten Version der 8. Fan Huan Übung kann der Lauf von Sonne und Mond noch deutlich wahrnehmbarer erlebt werden. Zunächst streckt sich der linke Arm zum Himmel, der rechte zur Erde. Zusammen mit einer Rumpfdrehung und -beugung nach links sinkt der linke Arm – symbolisch der Mond – kreisend nach unten, und der rechte Arm – symbolisch die Sonne – steigt bogenförmig nach oben: Der Tag bricht an. Doch wenn die Sonne mit der rechten Hand ihren Höchststand erreicht hat, sinkt sie wieder und der Mond, in der linken Hand liegend, beginnt zu steigen: Die Nacht beginnt. Es kommt die Zeit zum „Schlafen“. Das Kreisen von Sonne und Mond, der Wechsel von Tag und Nacht, vermitteln uns hier sinnbildlich die Wechselwirkungen von Yin und Yang in der nachhimmlischen Ordnung.

Vor der Brustmitte und dem Herzen begegnen sich Sonne und Mond, ein Vorgang, der uns auch aus der „Übung vom Ursprung des Lichts“ sehr vertraut vorkommt. „Sonne und Mond vereinen“ bedeutet symbolisch Yin und Yang zu einer Einheit zu verschmelzen, Yin und Yang in die geeinte vorhimmlische Vollkommenheit, in das Stadium des Wuji, zurückzuführen.

Die Hände bilden vor der Brust lockere Fäuste und werden dann wie bei der ersten Version auseinander gezogen: Die linke Faust wandert zur Schläfe, zu TaiYang, die rechte zum Trochanter, zu HuanTiao. Der seitlich geneigte Rumpf dreht sich wieder nach vorne und oben, man sinkt in das linke Standbein und leicht rückwärts lehnend betrachtet man den Himmel. Die Schlafposition ist eingenommen. Danach richtet sich der Oberkörper auf, die linke Schläfenfaust sinkt mit einer Gewichtsverlagerung auf das rechte Spielbein nach unten. Nach der Regulierungssequenz, dem „Beschreiben des Kreises“, wird die Übung seitenverkehrt wiederholt.

In beiden Versionen ist es also die Brustmitte, das Herz, wo sich Sonne und Mond –Yang und Yin – vereinen. Der Weg der Elixierbereitung vollendet sich im Herzen, wo das Harte und das Weiche, die Stärke und die Biegsamkeit, das Helle und das Dunkle in Harmonie miteinander gebracht werden und sich die dem Menschen angeborene „wahre Wesensnatur“ entfalten kann. Das Herz ist der Mittler zwischen dem Menschen und dem Dao. Nur durch sein Herz kann ein Mensch das Dao erkennen und erfahren. Während der Körper – zur Erde gehörig – sterben muss, birgt das Herz – zum Himmel gehörig – die Möglichkeit des Unvergänglichen in sich.

Gewöhnlich wird das Herz des Menschen von Gedanken, Gefühlen, von Verlangen und Streben beherrscht, was besonders über unsere Sinne geweckt und vermittelt wird (Ich verweise auf meine Einlassungen zur 5. und 6. Fan Huan Übung). Unablässige Gedanken und aufrührerische Gefühle, ständiges Wollen und Wünschen lassen unser alltägliches Herz nicht zur Ruhe kommen, verblenden unser Bewusstsein.

Wenn diese persönlichen Regungen und Konditionierungen zurückgedrängt und die „Herzaffen“ Schritt für Schritt gezähmt werden, sich keine Gedanken und Gefühle mehr regen, das Herz sich von all seinen Anhaftungen lösen kann, dann entwickelt sich das „Dao-Herz“, das in seiner ursprünglichen Reinheit die wahre innere Natur des Menschen, seine Wesensmitte darstellt. Es ist so rein und klar, still und leer wie das Dao selbst. Seine Kennzeichen sind Einheit, Vollkommenheit und Ausgewogenheit; seine Tugenden sind die Weisheit (Wasser), die Güte und die Menschlichkeit (Holz), die Liebe und das Mitgefühl (Feuer), das Vertrauen und die Überwindung des Zweifels (Erde) und die Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit (Metall).

Das Zähmen des gewöhnlichen Herzens, seine Befreiung von weltlichen Verunreinigungen – dem „Roten Sand“ -, wird oft auch als „Fasten des Herzens“ beschrieben. Wem es gelingt, sein „Herz ruhig zu halten“, seine wahre Wesensnatur zu kultivieren, dem eröffnet sich der Himmel (siehe das Übungsgedicht oben), und der vermag ganz nebenbei auch seine Lebenskraft zu stärken und zu bewahren, um dadurch ein langes Leben zu erlangen. Fan Huan verstanden als Rückkehr oder Umkehr bedeutet also auch eine Umkehr oder besser Umorientierung des Herzens, das seine Anhaftungen an die Welt nach und nach aufgibt.

Die Verschmelzung der komplementären Kräfte Yin und Yang, symbolisiert durch Sonne und Mond, offenbart sich in diesem Kontext auch in den beiden Lebensprinzipien Xing und Ming, beides zentrale Begriffe der chinesischen Geisteswelt.

Xing setzt sich aus dem Zeichen Xin für Herz und dem Zeichen Sheng für Entstehen oder Gebären zusammen. Im Alltag bezeichnet Xing den Charakter und die Persönlichkeit eines Menschen. In der daoistischen Alchemie steht Xing für die ursprüngliche Wesensnatur, für das unbewegte, reine Herz des Menschen. Xing steht in engem Verhältnis mit dem Konzept der Hun-Seele. Das Dao im Menschen ist seine ursprüngliche Wesensnatur: Xing ist ruhig, leuchtend und klar und dem Himmel verbunden, also  Yang.

Ming bedeutet ursprünglich „Königlicher Befehl“ oder „Mandat des Himmels“. Darüber hinaus steht dieser Begriff für „Leben“, „Bestimmung“, „Geschick“ oder „Schicksal“. Im energetischen Kontext verwendet man Ming gleichzeitig aber auch synonym für Lebenskraft oder Qi. Ming ist mit dem Weltlichen und der Erscheinungswelt verbunden, also Yin, und steht der Po-Seele sehr nahe.

Das Schicksal des Menschen ist überindividuell, es entspringt nicht dem Willen des Einzelnen. Es ist das „Gesetz von Himmel und Erde“ im Konfuzianismus, die „Karmawirkung“ im Buddhismus oder das „Bunte Spiel der Natur“ im Daoismus, was das Leben des Menschen bestimmt. Sein Schicksal anzunehmen heißt in diesem Kontext, die Aufgaben, die man im Leben gestellt bekommt, zu erkennen und zu erfüllen. Das erfordert die Bereitschaft, das was im Leben als Auftrag erkannt (Metall) und vom Herzen angenommen (Feuer) wird auch tatsächlich zu wollen (Wasser) und zu tun (Holz). Nur so findet der Mensch seinen inneren Frieden.

Sein Schicksal anzunehmen bedeutet aber auch mit der vom Himmel festgelegten und zugeteilten Lebensenergie und dem von unseren Vorfahren ererbten genetischen Kapital sorgsam und verantwortlich umzugehen. Die Rückkehr zu unserer wahren Wesensnatur ist keine esoterisch verbrämte Abkehr von der Welt und den Bedürfnissen unserer Körperlichkeit. Unser Körper muss mit Nahrung und Kleidung versorgt werden, die in ihm innewohnende Lebensenergie muss gepflegt und bewahrt werden. Und es gibt Angelegenheiten und Bedürfnisse im Leben, die man nicht vernachlässigen darf, was man offenen Geistes akzeptieren muss.

Betrachtet man diese unabänderlichen Dinge auf dem Weg der Rückkehr zum Dao als hinderlich, so wird der Geist unruhig, unsicher und ängstlich. Wer sich von Unwesentlichem befreien will, kann sich nicht auf einmal von Allem befreien. „Doch suche nicht nach zu vielen Beschäftigungen, nur weil es dich nicht stört, wenn du in Dinge involviert bist; stürze dich nicht absichtlich in Tumulte, nur weil dich ein Tumult nicht aus der Fassung bringen kann“, heißt es mahnend bei Chang Po-Tuan im „Geheimnis des Goldenen Elixiers“.

Die Polarität von Xing und Ming muss, richtig verstanden, im Alltag ausgewogen gelebt werden. Die Suche nach der wahren Wesensnatur kann und darf uns nicht daran hindern, unsere Aufgaben im Leben anzugehen, unser Schicksal zu meistern. Sammelt sich der wahre Geist im Herzen und entäußert sich die Lebensenergie nicht durch unsere Lebensgestaltung, finden die beiden Lebensprinzipien Xing und Ming wieder zur Einheit zurück.

Der in der daoistischen Weltanschauung zentrale Begriff WuWei verdeutlicht diese Lebenseinstellung noch prägnanter. Häufig wird WuWei mit „Nicht-Tun“ oder „Nicht-Handeln“ übersetzt, was fälschlicherweise oft als „Faulenzerei“ oder weltabgewandte Passivität missverstanden wird. WuWei bedeutet aber vielmehr, die Welt unvoreingenommen und unmittelbar zu erfahren, was die Bändigung des Tigers voraussetzt (siehe Fan Huan 6), und unbeeindruckt von gesellschaftlichen Werten und Normen entsprechend seiner wahren Wesensnatur dem natürlichen Lauf der Dinge zu folgen und zu handeln.

WuWei als Haltung wird auch gerne mit den Eigenschaften des Wassers erklärt. Wasser ist selbst weich und formlos und passt sich allen Gegebenheiten perfekt an, es findet immer seinen Weg zum Ozean und kann dabei im Laufe von Jahrmillionen ganze Gebirge abtragen. So wie das Wasser seinen Weg zum Ozean sucht, ist der suchende Mensch angehalten seinen Weg zum Dao zu finden, ohne dabei seiner weltlichen Bestimmung zu entfliehen.

Um sein Ziel zu erreichen, muss der Adept zuallererst die in seinem Körper innewohnenden Energien stärken und bewahren und durch die Reinigung des Herzens seine wahre Wesensnatur entfalten. Über die Unbewegtheit des Körpers – hier im Übungskontext verstanden als Schlaf, in der Übungspraxis allerdings erreicht durch die Meditation – gelangt man zur Unbewegtheit und Ruhe des Herzens und schließlich zur Stille des Geistes.

Hier offenbart sich erneut der Stufenweg des Qigong, der ja schon in der 1. bewegten Übung des Fan Huan Gong seinen Ausdruck findet. Die Umwandlung und Läuterung der Essenz (Jing) in Qi liegt in der Unbewegtheit des Körpers begründet, die Umwandlung des Qi in den Geist (Shen) in der Ruhe des Herzens und die Transformation des Geistes in die Leere in der Unbewegtheit des Denkens. Kommt der Körper zur Ruhe, dann blühen die Essenz und das Qi. Wird das Herz ruhig, werden die Gefühle still und der Geist verbindet sich mit der ursprünglichen Wesensnatur. Ist der Geist gesammelt und ruhig, ist das Denken unterbrochen und das wahre Wissen erscheint. Sind Körper, Herz und Denken eins, dann sind die 3 Familien verbunden und der Goldsaft sprießt.

Die 3 Familien sind verbunden

Die drei Familien sind verbunden - Quelle: M. Darga, „Das alchemistische Buch"
Die drei Familien sind verbunden – Quelle: M. Darga, „Das alchemistische Buch“

Wesentlich für diesen dreistufigen Umwandlungsprozess ist seine Verknüpfung mit den 3 Zinnoberfeldern (Dantian) und ihren zugehörigen Eintrittspforten und Passtoren: Die erste Stufe der alchemistischen Umwandlung dient der Anreicherung und Konsolidierung der körperlichen Energien im unteren Dantian. Die Essenz, das Jing, wird bewahrt und geläutert und in das Ursprungs-Qi verfeinert. Die zweite Stufe der Umwandlung nennt man das „Öffnen und Schließen von Qian und Kun“ (Himmel und Erde). Diese Metapher deutet auf das Wechselspiel von körperlicher Erd- und geistiger Himmelsenergie im mittleren Palast hin, in dem durch Anreicherung und Verfeinerung des Qi geistige Energie gewonnen wird. Die 3. Stufe der Umwandlung ist die Wandlung des Geistes in die Leere, die Läuterung des Shen, was mit der Metapher „Das Eine bewahren und das Ursprüngliche empfangen“ umschrieben wird. Sie geschieht im oberen Zinnoberfeld, wo bewusstes Wissen wahres Wissen erfährt, Klares Yang erscheint, d.h. der ursprüngliche Geist des Himmels sich manifestiert.

Die Kultivierung der 3 Schätze geschieht also im Menschen von unten nach oben, von der Erde zum Himmel, vom Körperlichen zum Geistigen und wird oft auch als „rückläufige Methode“ dargestellt. Der im Übungsgedicht genannte „Flusswagen“ bewirkt, dass die Vitalsubstanzen Jing, Qi und Shen zum Gipfel des Kunlun-Gebirges – gemeint ist das Schädeldach -, d.h. zum oberen Dantian geleitet werden. Mit dem Satz „Die 3 Blüten sammeln sich in der Kopfspitze“ wird dann zum Ausdruck gebracht, dass die ursprüngliche Einheit der 3 Vitalsubstanzen im oberen Zinnoberfeld wieder hergestellt wird und sich daraus das Unsterblichkeitselixier, die goldene Perle herauskristallisiert.

Ausdrücklich wird in diesem Zusammenhang immer wieder auf die korrekte Anwendung der Methoden des „Nährens“ und „Erwärmens“ hingewiesen. Nähren bedeutet die Lebenskräfte im Körper zu stärken und anzureichern. Dazu gehört innere Disziplin, d.h. ein unerschütterlicher Wille oder eine gefestigte Absicht. Erwärmen bedeutet die Entfachung eines Feuerungsprozesses durch den Atem und den gesammelten Geist, was im Qigong-Zustand ja auch auf körperlicher Ebene direkt als Wärmeempfindung spürbar ist. Das Feuer muss allerdings ausgewogen brennen, es soll nicht erkalten aber auch nicht überhitzen. Wenn Gedanken aufsteigen und die Aufmerksamkeit sich zerstreut, dann erkaltet das Feuer und die Umwandlungsprozesse der Vitalsubstanzen kommen nicht so recht voran. Ist der Geist zu stürmisch, ungeduldig und fordernd und der Wille verkrampft, siedet das Feuer und muss gedrosselt werden, um das Geschehen nicht zu überhitzen bzw. das Voranschreiten nicht zu überstürzen.

Fazit

XiYis Schlafübung am Ende des bewegten Fan Huan Zyklus ist quasi eine Art Ritualbewegung, um Ruhe und Stille im Körper, im Herzen und im Geist zu initiieren. Letzteres ist essentiell für den daoistischen Übungsweg zur Wiedergewinnung der uranfänglichen Einheit. Dieser Weg ist ein mehrstufiger und vielschichtiger Entwicklungsprozess, der niemals geradlinig sein kann. Was einmal erreicht wird, geht auch leicht wieder verloren und muss immer wieder neu errungen werden. Und es ist nur logisch und sinnstiftend, dass sich zu den acht bewegten Übungen des Fan Huan Gong vier stille Übungen hinzu gesellen, die zu einer kontinuierlichen Meditationspraxis hinführen.

Die vier stillen Meditationsübungen des Fan Huan Gong heißen der Reihe nach „Harmonisierung der Atmung“, „Embryonales Atmen“, „Ursprung des Himmels“ und „Klares, helles Yang“. Sie sind als eine ständige Begleitung der bewegten Übungspraxis zu verstehen und führen fortschreitend von der Oberfläche zu immer größerer Tiefe und Verwirklichung im Prozess der Rückkehr zum eigenen Ursprung.

Es gibt in der daoistischen Meditationspraxis eine Vielzahl von Methoden, die entweder konzentrativer oder rezeptiver Art sind. Die stillen Übungen des  Fan Huan verkörpern beides und stellen eine Kombination von Konzentration und einsichtsvoller Betrachtung dar. Die Aufmerksamkeit auf das Atmen zu richten – siehe die ersten beiden Übungen – ist der Schlüssel, um Herz und Geist zu sammeln und in die Stille zu führen. Den Ursprung des Himmels und das Klare Yang zu erfahren ist eher das Ergebnis wahrer Betrachtung und der Loslösung von weltlichen Angelegenheiten.

Ein weiterer Artikel wäre es wert, diese Meditationsmethoden näher zu beschreiben und zu erläutern und sie auch in einen entsprechenden historischen Kontext zu stellen. Festzustellen bleibt, dass das „Sitzen in Vergessenheit“, die Meditation, auch im Fan Huan Gong nicht nur als bloße Technik und Methode begriffen werden kann, sondern als spiritueller Weg auf der Basis einer entsprechenden Lebensweise. In diesem Sinne wünsche ich allen Wegefährten und Weggefährtinnen eine von Offenheit, Vertrauen und Demut geprägte Einstellung auf der Reise. Und wie lautete doch immer Prof. Congs Wahlspruch: „Die Übung möge gelingen“.

Fotos aus der Übungspraxis mit Prof. Cong

Zurück zur Übersicht