3. Übung: Ba Wang Ju Ding – Der König Ba hebt ein schweres Weihrauchgefäß/den Dreifuß

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König Ba ist eine Persönlichkeit, die am Ende der Qin-Dynastie (etwa 200 v. Chr.) lebte und anscheinend über sagenhafte körperliche Kräfte verfügte. Der Sage nach konnte er ein 500 kg schweres Bronzegefäß hochheben.

Rein äußerlich betrachtet scheint es sich bei der 3. Übung tatsächlich um eine Übung zur Entwicklung der Muskelkraft zu handeln, fallen die Bewegungen auf den ersten Blick doch sehr athletisch und kraftvoll aus, was umgekehrt auch eine gewisse Kraft voraussetzt, um sie überhaupt durchführen zu können.

Doch es wäre keine harmonische, das Yin/Yang-Gleichgewicht fördernde Übung, ginge es nur um das Ziel der äußerlichen Kraftentfaltung. Nach dem Motto „Aus der Ruhe kommt die Kraft“ geht es darum, aus „dem Zentrum des Weichen das Feste zu entwickeln“, inmitten der starken nach außen gehenden Bewegung (yang) Ruhe und Stille (yin) im Zentrum zu bewahren.

Auch in Bezug auf die linke und rechte Körperseite kommt dieses Yin/Yang-Spannungsverhältnis mehrfach zum Tragen; werden die Extremitäten der einen Seite stark bewegt, befinden sie sich die auf der anderen Seite in vollkommener Ruhe. Hier wird ganz deutlich die nahe Beziehung der Fan Huan-Methode zum Kampfsport sichtbar, gelten doch im Taiji und Kungfu ähnliche Prinzipien.

Mit den zum Himmel ausgestreckten Armen wird das Gewicht auf den rechten Fuß verlagert und das linke Bein herangezogen, der breite Reiterstand der 2. Übung aufgelöst. Der rechte Arm sinkt diagonal vor dem Körper bis zum Schritt – der 30er Zone (s.o.) – , um dann Finger für Finger mit der Hand eine hohle Faust zu bilden, geradeso als würde man den Henkel eines schweren Gefäßes ergreifen. Der linke Arm bleibt währenddessen vollkommen ruhig, die Fingerspitzen halten den Kontakt zur Himmelswurzel.

Nun wird das linke Bein halbkreisförmig nach vorne bewegt und – im Knie abgewinkelt – nach oben gehoben, bis der Oberschenkel eine waagrechte Linie mit der Erde bildet. Gleichzeitig hebt die rechte Faust in einer spiralförmigen Bewegung das Gefäß nach oben bis an die Schläfe (Tai Yang), wobei im selben Moment der linke Arme nach unten sinkt. Dieses gleichzeitige Auf und Ab ist charakteristisch für das nachgeburtliche Qi von Milz und Magen und kann deshalb als typische, die Wandlungsphase Erde unterstützende Bewegung gelten.

Doch es kommt noch etwas Weiteres hinzu: Auf Höhe der Brust – im Bereich des mittleren Dantian -, wo sich beide Arme begegnen, entwickelt sich eine leichte, diagonale Dehnung nach außen, sowohl bei der rechten Faust nach oben, als  auch bei linken Hand nach unten. Dies öffnet erneut den Brustraum im Bereich des Tanzhong (Renmai 17) und stärkt das nachgeburtliche Zong-Qi. War die Geometrie der ersten Übung vertikal, die der zweiten horizontal ausgerichtet, so haben wir hier in der dritten Übung die Diagonale als weitere Übungsachse.

Während die offene linke Hand im Bereich der Hüften und des unteren Dantian die Erde stemmt, trägt die rechte Faust auf Höhe der Schläfe und des oberen Dantian den Himmel. Diese kraftvolle, ausdrucksstarke Geste bringt die Wirkungsstätten der beiden Vitalsubstanzen Jing(Essenz) und Shen(Geist) in Verbindung, schafft eine erneute Beziehung zwischen der das Jing steuernden Körperseele Po und der das Shen beratenden Geistsseele Hun.

Außerdem vermittelt diese Geste auch einen narzisstischen Kniefall vor dem eigenen Ego. Es ist nicht ohne Witz und Hintersinn, dass man noch einmal König oder Herrscher – und natürlich auch Königin und Herrscherin – sein darf, bevor man die Dominanz des egoistischen Egos versucht zu überwinden. Einbeinig stehend bin ich ganz da, fülle meinen Raum und meinen Platz aus, bin meiner Selbst ganz sicher, stark und nicht mehr angreifbar. In dieser Haltung kommen keine Selbstzweifel auf, Depressionen und Minderwertigkeitsgefühle haben keinen Platz.

Doch nichts ist auf dieser Welt von Dauer. Die Anhaftung an Macht, Stellung, Herrschaft, Besitz oder Reichtum wird nur überwunden durch das Erkennen der Vergänglichkeit dieser die Körperseele Po so faszinierenden Phänomene. Indem man die Gelüste der Körperseele in einer Art „Macho-Geste“ noch einmal theatralisch zum Ausdruck bringt, wächst die Bereitschaft diesen Gelüsten nicht mehr zwanghaft nachzujagen. Das ist der humorvolle Bedeutungsgehalt dieser zentralen Passage der 3. Fan Huan-Übung.

In der folgenden Phase bleibt die rechte Körperseite völlig unbewegt (yin), während links Arme und Beine in Aktion sind (yang). Die linke Hand streichelt über die Erde und dreht sich im Handgelenk zum Himmel; währenddessen sinkt das linke Bein, streckt sich und die linke Fußspitze berührt leicht die Erde, geradeso als würde ein Vogel auf das Wasser tippen. Gemeinsam heben sich nun das gestreckte linke Bein und der linke Arm bis auf Hüfthöhe. Ellbogen und Knie knicken ab, der linke Unterschenkel sinkt (yin) und der linke Unterarm steigt (yang), bis die Fingerspitzen sich auf Augenhöhe befinden und der linke Fuß die Knieaugen des rechten Beins bedecken. Ellbogen und Knie sind die Scharniere zwischen innen und außen im Meridiansystem des Menschen, und sie stehen hier in einer direkt wahrnehmbaren energetischen Verbindung.

Nachdem nun auch der linke Arm das Gefäß bis auf Kopfhöhe gehoben hat, klappt die linke Handfläche im Handgelenk nach unten (yin), während gleichzeitig die linke Fußsohle im Sprunggelenk angehoben wird (yang). Hand- und Sprunggelenke beherbergen die Quellpunkte, mit denen sich das Ursprungs-Qi (Yuan-Qi) des Menschen in allen Meridianen aktivieren lässt. Hand und Sprunggelenke zu bewegen dient hier, wie in vielen anderen Qigong-Übungen auch, der Anregung und Stärkung des Ursprungs-Qi’s.

Mit einer Drehbewegung des angewinkelten linken Beines um 90 Grad nach außen öffnet sich die linke Leiste, das linke Bein streckt und senkt sich mit einem Schritt nach links, wobei zuerst die Ferse den Boden berührt. Das rechte Standbein ist weich und sinkt dabei etwas. Das Gewicht verlagert sich nun auf das linke, vordere Bein. Die linke Handfläche dreht in einem kleinen Halbkreis nach links außen, geradeso als würde man einen Schwertstreich ausführen. Gleichzeitig hebt die rechte Ferse vom Boden ab, und auf der Großzehenspitze wird der hintere rechte Fuß in die Bogenschrittstellung gedreht und bewusst nieder gestellt. Das Gewicht verlagert sich nun in die Mitte zwischen beiden Beinen.

Jetzt öffnet sich die rechte Faust und die beiden Hände heben dann – das Tigermaul jeweils aufeinander zeigend – das Tiegelgefäß über den Kopf. Die Hüften schieben sich etwas nach vorne und der Rücken bildet einen nach oben gekrümmten Bogen, eine Haltung, als würde man den ganzen Himmel hochstemmen und den Mond betrachten. Man schaut durch die von den beiden Tigermäulern zu einer Raute geformten Hände nach oben und betrachtet den Boden des Weihrauchgefäßes mit dem Siegel des Herrschers.

FanHuanGong Dritte Übung
Professor Cong praktiziert die Dritte Übung: Der Herrscher hebt den Dreifuss (Bawang ju ding)

Von Mingmen – dem Lebenstor ausgehend – entspannt und lockert sich die Wirbelsäule, das Gewicht geht zurück auf den rechten hinteren Fuß, wodurch der linke Fuß auf der Ferse wieder in die Ausgangsstellung nach vorne gedreht werden kann. Die Arme öffnen sich leicht und bilden über dem Scheitelpunkt BaiHui einen Trichter für die Aufnahme des Himmels-Qi.

Nach der Drehung wird das Körpergewicht auf den linken Fuß verlagert, der linke Arm sinkt nach unten und das rechte Bein streckt sich halbkreisförmig nach vorne, wobei die Fußspitze wieder zur Erde zeigt. Jetzt wird die Übung seitenverkehrt wiederholt.

Am Ende der 3. Wiederholung wird das linke Beine nicht mehr auf der Ferse nach vorne gedreht, sondern zum rechten Fuß herangezogen. Man steht V-förmig Ferse an Ferse und lässt Hände und Arme auf Dantian sinken.

Fazit

Die Wirkrichtung der 3. Fan Huan-Übung ist die Diagonale. Das Antriebspotential der Körperseele Po wird noch einmal dramatisch in Szene gesetzt, um es dann liebevoll und ohne Zwang zu relativieren. In anderen Worten, wer seine egoistischen Ego-Kräfte abbauen will, muss erst mal welche haben.

Bilder aus der Übungspraxis mit Professor Cong, 3. Übung

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