Die Jingang sind Waffen tragende Wächter der 4 Himmelsrichtungen und verfügen über sagenhafte Kräfte. Sie bändigen den Tiger, der allerdings nicht seine Kraft, sondern nur seine Wildheit verlieren soll. Ist der Drache – long – dem Osten, der Wandlungsphase Holz und damit dem jungen Yang zugeordnet (siehe oben unter Fan Huan 5), so wird der Tiger – Hu – dem Westen, der Wandlungsphase Metall und damit dem jungen Yin zugerechnet. Fu Hu ist – so die Übersetzung – auch ein metaphorischer Ausdruck dafür, dass eine dunkle Macht oder Kraft besiegt wird.
Lange Jahre haben ich und viele meiner Weggefährten die 6. Fan Huan Übung unter einer sehr einseitigen Vorstellungsschablone geübt. Wir färbten den Drachen rot und den Tiger weiß, und in dieser farblichen Ausgestaltung sind Drache und Tiger auch Symbole für die weibliche Menstruation und den männlichen Samenerguss. Diese Ausscheidungen kann man natürlich auch bändigen bzw. verhindern, und es gibt eine Menge Literatur und Meinungen über Sinn und Unsinn der einschlägigen Praktiken.
Doch das ist nicht das eigentliche Thema hier. Denn der Tiger des Westens, der Lunge und des Metalls steht auf der mentalen Ebene für die ausgeprägteste und schärfste Waffe der Körperseele Po: dem analytisch-kausalen Denken, dem permanent und oft zwanghaft urteilenden Verstand, der unsere Wahrnehmungen immerzu sortiert und bewertet. Der unterscheidende und stets wertende Alltagsgeist denkt immer in Kategorien von Ursache und Wirkung, gut und schlecht, nützlich oder schädlich etc.
Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen, dieses unterscheidende, bewertende, analytische, auf den Zusammenhang von Ursache und Wirkung ausgerichtete Denken ist für den Alltag und das menschliche Zusammenleben schlechthin unersetzlich. Ein Kind muss lernen, dass die Sinnesempfindung der heißen Herdplatte schädliche Folgen für Finger und Haut hat, und dass die Rote Ampel im Straßenverkehr ein Signal für Stehen bleiben ist, das bei Strafe eines Unfalls nicht ignoriert oder übersehen werden darf. Solche Lern- und Wissensinhalte werden uns in einem jahrelangen Erziehungs- und Sozialisationsprozess beigebracht, die entsprechende Fertigkeiten und Verhaltensweisen nach sich ziehen. Das wertende und unterscheidende Bewusstsein ist ein kostbarer Schatz um unseren Lebensalltag zu bewältigen.
Doch dieses jahrelang geschulte und verfeinerte Bewusstsein kann auch zu einer rigiden Barriere werden, wenn es um die direkte Wahrnehmung ohne den wertenden Filter des Verstandes geht. Diese Art von Wahrnehmung wird traditionell mit dem Begriff Einsicht umschrieben. Direktes Wahrnehmen ermöglicht einen anderen Bewusstseinszustand, der nur entsteht, wenn der Tiger gebändigt d.h. ruhig ist, und der Strom der oft wie konditioniert urteilenden Gedanken für einen Augenblick oder auch für längere Zeit aussetzt. Letzteres ermöglicht einen anderen, unmittelbareren Zugang zur realen Welt.
„Die Dinge sind so wie sie sind.“ „Es ist wie es ist.“ Das sind die Kernsätze dieser Art von Wahrnehmung und Bewusstseinsstufe. Ereignisse werden dann auch nicht mehr ständig und zwingend nach dem Kausalitätsprinzip erlebt und interpretiert, sondern mehr und mehr unter dem Prinzip der Synchronizität erfahren, was heißt dass Vorgänge und Geschehnisse in hohem Maße als verknüpft und zusammengehörig wahrgenommen werden, ohne dass ein kausaler Ursache-Wirkungszusammenhang besteht.
Um ein Beispiel zu nennen: Stellen wir fest, dass Qigong trotz seiner gesundheitsfördernden Wirkungen nicht verhindert, dass Menschen weiterhin krank werden, so wird der wertende Geist, je nach Einstellung, analysieren, dass vielleicht falsch oder zu wenig geübt wurde, oder dass Qigong eben doch keine effektive Heilmethode ist. Beides sind wertende, analytische Aussagen, die in dieser Weise von unserem Alltagsgeist ständig gemacht werden, besonders im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen. Die nicht wertende Wahrnehmung zeichnet sich dadurch aus, dass Gesundung durch Qigong und Krankwerden gleichzeitig als Teil unserer Realität registriert wird, demzufolge eine Synchronizität besteht, und eben nicht zwingend ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang hineininterpretiert werden muss.
Die nicht bewertende, ungefilterte Wahrnehmung dessen was ist, muss erlernt werden, sie findet nicht von selbst statt. Ein erster Schritt ist getan, wenn einem das ständige Werten auffällt, wenn eine Art Meta-Bewusstsein – ein Innerer Beobachter – in unserer Großhirnrinde entsprechende Signale in unsere Wahrnehmungszentren sendet und diese auch nicht weggefiltert werden. Die Schulung dieses Inneren Beobachters ist eine gewaltige Aufgabe, die uns aber mehr und mehr zu unmittelbarer Erfahrung, direkter Einsicht, zu einer veränderten Wahrnehmung verhilft.
Unser Tagesbewusstsein ist ständig dabei zu überprüfen und zu vergleichen, welche Ereignisse und Verhaltensweisen zu welchen Konsequenzen führen. Dies ist meist begleitet von Erwartungen, Wünschen, Sorgen und Hoffnungen, dass entweder in der Zukunft sich die Fehler und Missgeschicke der Vergangenheit nicht wiederholen oder die positiv besetzten Segnungen der Vergangenheit – verbunden zum Beispiel mit dem Mythos ewiger Jugend – sich endlos in die Zukunft fortsetzen. Dies verstellt den Blick auf das Hier und Jetzt, das Sein im Augenblick.
Das Erkennen und Überwinden dieser ich-zentrierten geistigen Vorgänge, die wie von einem Autopiloten gesteuert permanent um unsere Vergangenheit und Zukunft kreisen, birgt die Chance, dass ein fundamentaler Wechsel in unserer Wahrnehmung stattfindet. Ist der Geist präsent im Augenblick, im Ist-Zustand, dann gibt es keine Bewertung, kein Vergleichen mehr. Dieser Geisteszustand wird erlebt und wahrgenommen als Leere, Stille, Weite und grenzenlose Offenheit, und oft entsteht ein tiefes Bedürfnis diesen Zustand des Friedens von neuem oder länger zu erleben, was aber auch schon wieder eine bewertende Erwartungshaltung, eine Projektion in die Zukunft, ist.
Die Bändigung des Tigers, das allmähliche Zurückdrängen des beurteilenden Alltagsgeistes und der Übergang zu einer „Nichtwertenden, Direkten Wahrnehmung“ ist nicht nur Inhalt der 6. Fan Huan Übung. Viele Meditationstechniken beschäftigen sich haargenau mit diesem Thema und auch die Stillen Übungen des Fan Huan Gong greifen diesen Vorgang auf.
Eine besondere Strategie, um die Begrenzungen des analysierenden Geistes offen zu legen, ist die Beschäftigung mit so genannten paradoxen Rätseln, wie es in der Zen-Praxis mit dem Koan geschieht. Eine sehr oft kolportierte Frage lautet beispielsweise: „Wie klingt das Klatschen einer Hand?“ Oder „Was existiert zuerst, die Henne oder das Ei?“ Solche Fragen sind paradox. Ihnen ist mit dem rational denkenden Verstand nicht beizukommen, und es gibt auch keine vorgefertigten richtigen Antworten. Die Antworten entstehen intuitiv und in einem Moment plötzlicher Einsicht.
Sehr effektiv für die Schulung der Direkten Wahrnehmung ist auch die Praxis des „leeren Zuhörens“, d.h. man hört ohne Wertung und Kommentar einem Menschen zu. Gerhard Wenzel hat in seinen mündlichen, jedoch dankenswerterweise schriftlich protokollierten Übungsanweisungen zum Fan Huan Gong auf die besondere Bedeutung dieser Übung hingewiesen. Und auch ich habe in einer langjährigen Übungsgruppe, die sich mit dem Thema „Spirituelles Wachstum“ auseinandersetzte, intensiv diese Praxis in Form der so genannten „Monolog-Arbeit“ geübt.
Es ist nämlich gar nicht so einfach einem Menschen wertfrei zuzuhören. Im Alltag lassen wir unsere Gesprächspartner oft nicht ausreden; oder wenn sie langsam und vermeintlich ungeschickt formulieren, führen wir ihre Sätze zu Ende. Ganz zu schweigen, dass unser mit abgespeicherter Erfahrung voll gestopfter Verstand ständig die gehörten Aussagen kommentieren, einordnen und kategorisieren muss. Dies geschieht auch nonverbal durch Mimik und Gesten. Deshalb haben wir unsere Monolog-Arbeit oft und gern mit geschlossenen Augen ausgeführt, um auch diese nonverbale Art von Kommentierung auszuschließen.
Das reine, wertfreie Zuhören öffnet unser Bewusstsein nach allen Seiten, es stärkt auch nebenbei unsere Gedächtnisleistung. Gehen wir nicht in wertende Resonanz mit dem Gesagten treten auch weniger und zuweilen andersartige Emotionen auf, selbst wenn die Äußerungen aggressiv oder gar beleidigend ausfallen. So schafft man es vielleicht von 10 Streitereien eine wegzulassen; eigentlich schon ein großer Gewinn für den Alltag? Statt Widerstand und Gegenwehr oder passiver Ignoranz, was ja auch eine Art von Kommentierung ist, entwickelt sich unter Umständen eine Haltung des Mitgefühls und der Güte, die auch beim Verzeihen helfen kann. Das ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg des Qigong.
Doch zurück zur 6. Übung. Im Übungsgedicht heißt es:
„Der Jingang bändigt den Tiger ist eine Übung für die Beine. Auf einem Bein das Gleichgewicht halten, anwinkeln, der Rücken gerade. Immer wieder in ständiger Wiederholung wie ein goldener Hahn auf einem Bein stehen. Der entscheidende Punkt der Übung liegt in einem winzigen Augenblick“.
Lange habe ich in der Vergangenheit über den letzten Satz dieses Gedichtes gerätselt, wo und wann beim Üben der 6. Bewegung der entscheidende Augenblick wohl eintreten mag. Es war wie ein vertracktes Koan. Doch irgendwann reifte in mir der Entschluss den Text der Übersetzung einfach umzuformulieren und statt der Worte „in einem winzigen“ das Wörtchen „im“ einzufügen. Und das war der Durchbruch: Es geht nicht darum einen bestimmten Augenblick zu finden, sondern im Augenblick zu sein.
Die Po-Seele und ihre stärkste Ausdrucksform, unser Alltagsbewusstsein, nähren sich aus der Vergangenheit und Zukunft. Die Hun-Seele dagegen wohnt immer im gegenwärtigen Augenblick. Ruht die Körperseele, wenn auch nur für Sekunden, so erlebt man den Augenblick, das Jetzt, so wie er/es ist, und ganz wesentlich, es gibt nichts zu kommentieren oder gar zu verändern. Man lässt den Augenblick, so wie er ist. Ein Zustand, den die Körperseele kaum aushalten kann; sie muss immer auf der Zeitschiene etwas optimieren, zurechtrücken oder umgestalten.
Doch nun zum konkreten Ablauf der Übung selbst. Zu Beginn der 6. Bewegung berühren sich die Fersen; es ist die Fußstellung, die am Ende der 5. Übung eingenommen wird. Die rautenförmig vor dem unteren Dantian gehaltenen Hände schieben sich nach vorn und streicheln die Erde. Das Standbein sinkt und das freie Bein wird mit der Fußspitze zur Erde zeigend nach vorne geschoben; eine exzellente Dehnung unseres Magenmeridians, weshalb diese Bewegung so auch beim Magenmeridian-Qigong zelebriert wird. Sanft neigt sich der Oberkörper nach vorn und die Hände formen über den Knien einen kleinen Qi-Ball, der nun zusammen mit dem gestreckten Bein hochgehoben wird. Der Oberkörper richtet sich wieder auf, die Handherzen schauen zum Himmel. Für mich beinhaltet diese Geste noch einmal eine liebevolle Umarmung der Po-Seele, die nun, unter Öffnung der Leiste und Anwinkelung des Beines im Knie, auf Höhe der 30er Punkte zum Körper hin geführt wird.
Um es noch einmal zum Ausdruck zu bringen, es geht im Fan Huan Gong nicht darum, die Körperseele zu verdrängen oder sie gar auszuschalten; sie soll nur etwas weniger Dominanz ausstrahlen. Das Animalische wird nur gezähmt. Unsere Instinkte, Triebe, Wünsche, Emotionen und Gedanken sollen nicht länger uns beherrschen, sondern wir sie. Und dies in einem unverkrampften Prozess der Bewusstwerdung, der allmählichen Beruhigung des Gedankenflusses und seiner inkludierten Bewertungen. Die Geschäfte der Po-Seele sind nicht mehr ganz so wichtig und bestimmend und bleiben auch nicht mehr so stark im Gedächtnis haften wie bisher.
Vor dem Dantian bilden die Hände nun lockere TaiJi-Fäuste, die so gedreht werden, dass die Faustaugen zum Unterbauch schauen. Wie bei der 3. Fan Huan Bewegung werden dann die Fäuste nach oben zum Schläfenbereich des Kopfes – TaiYang – gehoben und damit das Körperliche (die Ebene der Po) mit dem Geistigen (die Ebene der Hun) in Verbindung gebracht. Der Unterschied zur 3. Bewegung besteht allerdings darin, dass bei der 6. Bewegung die Fäuste nicht links und rechts getrennt, sondern auf beiden Seiten gleichzeitig nach oben kommen.
Die TaiJi-Fäuste transportieren das aus der Nierenessenz hervorgegangene Ursprungs-Qi (Yuan Qi) zum Kopf. Ausgehend von seiner Quelle, dem Mingmen oder auf Deutsch dem Lebenstor, wird es auf dem „Silberfluss“ nach oben transportiert. Der Silberfluss als Straße des Ursprungs-Qi ist ein Kanal, der zentral durch Rumpf und Kopf – alle 3 Dantians verbindend – vom Beckenboden (HuiYin) zur Schädelspitze (BaiHui) verläuft. Er darf nicht mit dem was in Akupunkturbüchern als Chongmai dargestellt wird verwechselt werden.
Um den Prozess des Aufsteigens zu ermöglichen muss der Silberfluss geöffnet, von einem Rinnsal zum Strom ausgeweitet werden. Seine Begrenzungen liegen in den emotional-energetischen Strukturen der umliegenden Brustmeridiane, als da sind – von innen nach außen – der Nierenfunktionskreis mit dem Thema der Angst, der Magen- und Milzmeridian mit den Themen Egozentrik, Zweifel und Mangel an Vertrauen und den äußersten Begrenzungslinien Leber/Gallenblase mit dem Thema Wut und Groll. Anders ausgedrückt, um den Silberstrom breit und durchlässig zu machen, muss Angst überwunden, Zweifel beseitigt und Egozentrik und Wut abgelegt werden. Dieser Prozess ist steinig und mühsam, oft von Enttäuschungen und Rückschlägen begleitet, doch der transformierte Drache und der gebändigte Tiger sind starke Helfer auf dem Weg.
Die Bewegung der Fäuste nach oben kann und darf je nach Art der Begrenzung, die gerade bearbeitet werden soll, einen anderen Weg nehmen. Arbeitet man an den Themen Angst und Zweifel, so ist die Bewegung der Fäuste eher eng und mittig vor dem Rumpf; geht es um das Thema Wut, Groll und Egozentrik eher weit und außen an den Flanken des Rumpfes. Lange Zeit war dieses Bewegungsdetail ein großer Streitpunkt in der deutschen Fan Huan-Gemeinde, und der analytisch-wertende Geist der Kontrahenten, konnte sich sogar auf jeweils unterschiedliche Videodokumente mit Prof. Cong berufen. Im Lichte des oben beschriebenen energetischen Hintergrundes gibt es aber hier kein falsch oder richtig mehr, das unterschiedliche Hochheben der Fäuste spiegelt jeweils eine andere Notwendigkeit oder Aufgabe.
Gleichzeitig mit der Aufwärtsbewegung der Fäuste wird das angewinkelte Bein aus der Leiste heraus geöffnet und die Fußsohle nach oben geklappt. Nun steht man aufrecht wie „ein goldener Hahn“ – siehe das Übungsgedicht – auf einem Bein; eine Stellung, die auch in der chinesischen Kampfkunst und Peking-Oper eine wichtige Rolle spielt. Danach beugt sich der Rumpf etwas zur Seite, die Fäuste an den Schläfen werden gedreht, so dass die Faustaugen zur Erde zeigen. Der angewinkelte Fuß des Spielbeins klappt gleichzeitig nach unten, so dass die Fußspitze zur Erde gerichtet ist, was den Stand stabilisiert und uns mit dem Boden verankert. Unsere österreichischen Qigong-Freunde gehen in dieser Übungsphase mit dem Standbein zusätzlich in den Zehenstand; eine Variante, die man unbedingt einmal ausprobieren sollte.
Die Aufrichtung und seitliche Dehnung des Rumpfes aktiviert das Mingmen, unser Lebenstor: YuanJing und YuanQi können wie aus einem Springbrunnen hervortretend nach oben sprudeln und sich mit dem YuanShen im Kopf verbinden. Wenn nun die Fäuste den geneigten Rumpf wieder zur Mitte bringen – eine Faust schiebt, die andere zieht – wird das Himmelsauge (Tianmu) aktiviert, was ja auch schon bei der 2. Bewegung der Fall war. Hinter der Oberfläche zwischen den Augenbrauen verbergen sich im Schädelinneren 3 Kammern, zuerst die „Halle des Lichts“, dann die „Verborgene Kammer“ und weiter im Inneren der Niwan-Palast, den Thomas Cleary auch „Nirwana-Palast“ nennt. Tatsächlich kann sich bei der erwähnten Bewegung zunächst die erste Kammer, die „Halle des Lichts“, öffnen, der Bereich zwischen den Augenbrauen pulsiert und Licht-Erscheinungen treten auf. Das Öffnen und Betreten der weiter innen liegenden Kammern geschieht dann im Laufe der weiteren Entwicklung.
Wie bei Fan Huan 2 gehen nun die Fäuste und Arme in einem großen Kreis nach unten, der Lichtkörper – unser Aurafeld – wird (gesehen oder nicht gesehen) umarmt und der Silberfluß dabei gedehnt. Die Fäuste sammeln das Qi danach in einer kleinen Aufwärtsbewegung im unteren Rücken, im Mingmen-Bereich. Zusammenfassend ergibt sich daraus eine Bewegung der Fäuste als würden sie den Umriss eines Herzens malen. Dies ist die Bahn des Ursprungs-(Yuan) Qi.
Danach wandern die Fäuste oberhalb der Hüften zu den Flanken und öffnen sich nach vorne. Im Unterschied zu einem ähnlichen Bewegungsablauf beim Kranich-Qigong ist dieser Vorgang aber keine Geste des Wegwerfens oder Abgebens von verbrauchtem, altem Qi, sondern eine Gebärde der Erlösung: Der Tiger darf noch einmal seine Krallen zeigen, aber er hat seine Wildheit verloren. Der permanent analysierende und wertende Gedankenstrom ist gezähmt. Gleichzeitig sinkt das Spielbein nach unten und berührt mit dem großen Zeh den Boden. Dann wird der Fuß wieder zurück zur Ferse des Standbeins gezogen; man steht in der V-förmigen Ausgangsposition.
Zum Abschluss streicheln die Hände die Erde, drehen, öffnen und heben sich, werden vor dem Himmelsauge zusammengeführt. Dann sinken die Hände nach unten, in dem Bewusstsein, dass man was Kostbares in Händen hält. Das Licht wird zurück in den Ursprung gebracht, ein Vorgang, der auch in der Übung vom Ursprung des Lichts bekannt ist. Ohne weitere ableitende Zwischenbewegung beginnt man nun das Standbein zu wechseln und wiederholt die Übung seitenverkehrt.
Fazit
Ist der Drache transformiert, weil er nicht mehr die himmlische Seele ignoriert und der Tiger gebändigt, weil er nicht mehr mit der irdischen Seele kämpft, dann ist die Voraussetzung geschaffen, dass sie sich vereinen. Unterhalb des Herzens, in der purpurnen Kammer, „dem karmesinroten Palast“, geschieht dieser alchemistische Prozess. Er schafft „Bewusstes Wissen“, das sich aus dem „Wahren Wissen“ nährt.
Doch das ist das Thema der nächsten beiden Übungen.