1. Übung: YiQi-SanQing – Ein Qi, drei Dantian

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In kreisenden Bewegungen wird das Qi bewusst durch die drei Dantien (Zinnoberfelder) geführt:

Am Beginn steht die Kontaktaufnahme zur Erde; ausgehend von einer guten Verwurzelung im Qigong-Stand wird das Erd-Qi mit den Fingerspitzen aufgenommen und über die Innenseite der Beine ins untere Dantian gehoben. Danach wird mit einer zum Beckenboden führenden Hinwendung der Fingerspitzen HuiYin – das Erdentor – versiegelt. Jetzt die Hände halbkreisförmig drehen und die Handflächen mit den Handherzen (LaoGong-Punkten) bewusst zur Erde ausrichten.

Die Hände werden nach vorne geschoben und in einem großen Kreis vor dem Unterbauch wieder zurückgeführt. Diese kreisende Hinwendung zur Erde ist ein Symbol für die Annahme unserer irdischen Existenz, ein liebevolles Bekenntnis zu unserer Leiblichkeit, ein nachträgliches bewusstes Akzeptieren unserer physischen Geburt.

Auf der Höhe der 30iger Punkte (Magen 30, Gallenblase 30, Blase 30), die allesamt unser Qi mit dem der Erde verbinden, bildet sich ein Energiekreis durch die Bewegung des Öffnens (Yang) und Schließens (Yin); Getrenntes wird wieder zusammengeführt, aus Dualität entwickelt sich Polarität.

Es ist die Ebene des unteren Zinnoberfeldes (Dantian), die Heimat unserer Vitalität, chinesisch ausgedrückt die Ebene der Vitalsubstanz Jing (Essenz), die hier aktiviert wird. Liebevoll umarmt wird in diesem Prozess auch die mit dem irdischen Dasein aufs engste verhaftete Körperseele Po, die mit ihrem „dunklen“, d.h. meist unterbewussten Antriebspotential unsere Triebe, Instinkte, Wünsche und Bedürfnisse regiert.

Vor den Hüften werden die Handflächen nach oben zum Himmel gedreht und die kleinen Finger – sie beherbergen die Feuermeridiane Herz und Dünndarm – entlang der Leisten unter die mit „Nierenwasser“ gefüllte Beckenschale geführt, das bedeutet energetisch, dass Feuer unter das Wasser gebracht wird, damit Qi – Dampf – entstehen kann. Dieser Vorgang ist ein wesentliches Element in der Qigong-Übungspraxis und wird in vielen anderen Übungen auch praktiziert.

Vor dem Heben der Hände wird der Körper leicht nach vorne geneigt, eine archaisch-demütige Geste um sich vor dem Himmel zu verneigen. Mit der Wiederaufrichtung des Rumpfes werden auch die Arme gehoben, bis die Fingerspitzen etwas über Schulterhöhe sind. Dieser Vorgang ist eine Art Bewusstmachung: Das Dunkle, Abgründige des Wassers und der Körperseele Po wird ans Licht, ins Feuer, ins Bewusstsein gehoben. Die Po-Körperseele wird zur Hun-Geistseele gebracht, zum Herzen gehoben. Ein Vorgang der sich noch mehrmals in den folgenden Übungen wiederholen wird.

Damit haben wir die Ebene des mittleren Zinnoberfeldes (Dantian) erreicht, die ja im menschlichen Körper wesentlich für die Bildung der Vitalsubstanz Qi, seine Läuterung und Reinigung verantwortlich ist. Nach dem „Setzen“ der Hände werden die Handflächen so gedreht, dass die Fingerspitzen über die Schultern nach hinten zeigen. Die Spitzen der Ellbogen folgen nach und werden nach außen gedreht, die Brust wird geweitet, der „Herzfächer“ öffnet sich. Mit dieser Öffnung aktiviert sich unser Brust-Qi, Stagnationen und emotionale Blocks lösen sich, die Qi-Qualitäten des Herzens – Wärme, Liebe und Mitgefühl – kommen zum Vorschein. Je nach individueller Tagesverfassung lässt sich der Herzfächer mehr oder weniger öffnen.

Nun erfolgt ein kraftvolles Emporheben der Hände, wobei das Tigermaul zur Ohrwurzel gerichtet ist. Mit diesem Vorgang wird das 3. Passtor (Yu Zhen) des Kleinen Himmelskreislaufes, das „Tor des Schweigens“, überwunden. Mit einer Drehung der Handgelenke umkreist dann das Tigermaul die Ohren, wobei mit den Fingerspitzen alle Himmelsfensterpunkte angeregt werden. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von zehn Punkten, die bis auf zwei alle am Hals lokalisiert sind. Diese Punkte verbinden den Rumpf – die Erde – des Menschen mit seinem Kopf – dem Himmel. In der klassischen Akupunktur werden diese Punkte bei Erkrankungen der Sinnesorgane und bei psychisch-emotionalen Problemen eingesetzt. Sie dienen allgemein der Stimmungsaufhellung.

FanHuanGong 1. Übung
Professor Cong praktiziert die Erste Übung: Ein Qi – 3 Dantian (Yiqi sanqing)

Im Fan Huan Gong wird mit dem Überwinden des 3. Passtores und der Aktivierung der Himmelsfensterpunkte eine bewusste Verbindung zum Himmel hergestellt. Im Anschluss daran wird das obere Zinnoberfeld (Dantian) mit seinen neun Kammern oder „Palästen“ im Zentralbereich unseres Gehirns mit den zueinander zeigenden Handherzen bestrahlt. Der innerste Palast, im Chinesischen auch als „Niwan“ bezeichnet, ist die Wirkunsgstätte der Vitalsubstanz Shen (übersetzt als belebender Geist oder Bewusstsein). Indem der Geist klar, still und leer wird, wird Shen genährt und veredelt und mit dem universellen Geist des Himmels verbunden. Bewusstes Wissen – symbolisiert im Trigramm Li/Feuer – durchdringt Wahres Wissen –symbolisiert durch das Trigramm Kan/Wasser – , diese Praxis heißt im Qigong die Vereinigung von Kan und Li.

Modernes Leben mit seinem vorherrschenden Materialismus und dem allgemein abnehmenden Interesse an Spiritualität machen es in der heutigen Zeit dem Menschen immer schwerer Kontakt mit dem Himmel zu halten. Es ist fast eine Art therapeutischer Intervention, wenn man beim Üben von Fan Huan Gong sich in dieser Phase dem Shen des Himmels öffnet und geistige Klarheit, bewusstes Wissen in Verbindung zum Himmel schafft; Inspiration und Weitsicht sollen und können in unseren Alltagsgeist eindringen.

Im Folgenden werden beide Arme nach oben gestreckt, gerade so als wollte man sich einen Hut oder besser eine Krone absetzen. Dieses Strecken der Arme ist aber mehr ein passives Hinaufgezogenwerden, oft verbunden mit spiralförmigen Schwankungen des ganzen Körpers. Das Bild der von allen irdischen Schlacken befreiten Geistseele Hun, die aus der obersten Öffnung des Schädels – chinesisch dem Baihui – in der Stunde unseres physischen Todes zum Himmel steigt, ist hier nahe liegend und gegenwärtig. Das Abheben der Fersen von der Erde verstärkt noch diesen Sog in den Himmel. Interessant ist es, diesen Abschnitt auch mal mit geschlossenen Augen zu üben.

Doch die Reise zum Himmel ist nicht weiter opportun, sonst müsste der ganze Übungszyklus eigentlich schon hier zu Ende sein. Mit dem bewussten Absetzen der Fersen wird die Rückkehr zur und auf die Erde vollzogen. Unsere irdische Heimat wird nicht verlassen, das irdische Leben bleibt gegenwärtig. Die Handgelenke werden gedreht, sodass die Handherzen nach vorne zeigen. Die Arme sinken leicht wie eine Schwanenfeder bis auf Brusthöhe und greifen vor der Brustmitte und dem Herzen einen Qi-Ball. Das zuvor bei der Aufwärtsbewegung praktizierte Öffnen des Herzfächers (s. o.) ist hierbei die Voraussetzung für die Aufnahme von frischem Qi. Nur das Qi-Quantum, das im und mit dem Herzen resonanzfähig ist, kann im unteren Dantian aufgenommen und bewahrt werden. Mit dem Einverleiben des Qi-Balles im unteren Dantian ist die 1. Übung beendet. Das Dantian wird dabei nicht geschlossen, sondern rautenförmig mit den Händen vor dem Unterbauch geschützt, die Eintrittspforte Qihai in der Mitte der Raute bleibt jedoch geöffnet.

Fazit: Die geometrische Achse der 1. Übung ist die Vertikale. Die Vitalsubstanzen Jing, Qi und Shen als verschiedene Aggregatzustände der Lebenskraft werden entsprechend dem Stufenweg des Qigong gesammelt, veredelt, vereint und bewahrt.

Dies ist die Voraussetzung um zur Quelle, zum Dao, zur Leere zurückzukehren. Absichtsloses Üben und bedingungslose Hingabe sind der Schlüssel für das Gelingen.

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