Die Rückkehr zum DAO

von Walter Gutheinz

Das DAO ist der Urgrund allen Seins. Sein Kennzeichen ist die Einheit und Ungeschiedenheit. Aus ihm entstanden in einem Prozess zunehmender Differenzierung der gesamte Kosmos, die Welt der Phänomene und auch der Mensch. Menschliches Leben wurzelt im DAO, entstammt dieser Einheit. Es ist der göttliche Funke in uns, der unseren vergänglichen menschlichen Körper beseelt und an das DAO bindet. Bei der Geburt, im Anblick des Neugeborenen, zeigt sich dieser Zusammenhang im Glanz der Augen. Die Lebenskraft Qi und der ursprüngliche Geist YuanShen sind hier noch völlig unversehrt.

Die Innere Alchemie

Menschliches Dasein unterliegt normalerweise zeitlichen Konditionierungen, folgt dem Prozess von Schöpfung, Wandlung und Tod. Letzterer tritt ein, wenn die menschliche Lebensskraft versiegt und der indivduelle Geist zerrüttet ist. Körperliche Unsterblichkeit ist nicht möglich. Die Rückkehr zum Ursprung bedeutet Umkehr, die Befreiung von der Anhaftung an jeglicher Form vergänglicher Individualität, die Trennung von der Illusion eines immer wiederkehrenden, ewigen Lebens.

Das Vergängliche ist das physisch-stoffliche Leben, das nicht nur den Körper umfasst, sondern auch den menschlichen Geist in all seinen ichhaften Ausprägungen. Alles was der Person angehört ist eine vergängliche Erscheinungsform. Das physische Leben bildet zwar die existielle Grundlage für die Rückkehr zum Ursprung, aber es ist nicht die Person, das Individuum, welches zum DAO zurückkehrt, sondern seine innere Wesensnatur, die ein Mensch in sich entdecken und bewahren kann. Der alchemistische Prozess beschreibt hierbei einen Lebensweg, welcher der ursprünglichen Einheit entspringt, die Welt der Vielfalt durchläuft und schließlich wieder in die Einheit zurückkehrt.

Die Hinwendung zum DAO bedeutet also zurückzukehren zu einem Zustand, in dem man einmal war, bevor Mutter und Vater uns auf die Welt brachten, ein Zustand offener Weite jenseits jeglicher körperlicher Gestalt und Sinneswahrnehmung. Wo es keine Sinneswahrnehmung mehr gibt, ist der urspüngliche, wahre und geeinte Geist präsent, die Wirkkraft des DAOS – das DE – kehrt zurück in das zeitlose Eine, dem Nichts, aus dem alles wieder entsteht.

Befreiung von den Außendingen

Der alchemistische Weg zur Auflösung jeglicher Individualität ist ein Weg persönllicher Erfahrung. Über die Unbewegtheit des Körpers gelangt der Suchende zur Unbewegtheit des Herzens und dann zur vollkommenen Stille des Geistes. Körperliche Ruhe ist der Nährboden für die Vermehrung der Lebenskraft und die Sammlung des Geistes. Kreisen die Gedanken, haben sie meist allerlei Gefühle im Schlepptau.. Diese suggerieren uns permanent Beurteilungen, Wünsche und Bedürfnisse. Benutzt man diesen seinen Geist, um den Fluß der eigenen Gedanken und Gefühle zu unterbinden, verstärkt man nur das Übel. Herumstreunende Gedanken lassen sich nicht mit weiteren Gedanken unterdrücken. Nur durch das Stillwerden des Herzens vollzieht sich die Reinigung und Läuterung des Geistes. Das „Fasten des Herzens“ schafft einen Zustand völliger Selbstlosigkeit und geht einher mit dem Vergessen der Person, dem Persönlichen. Erst mit dem Gewahrwerden des Einen als Ursprung der Welt und der Erfahrung der Einheit von allem Bestehenden kehrt das Herz zum DAO zurück.

Harmonie der Atmung

Die Atmung ruhig werden zu lassen, hilft dem Herzen still zu werden. Weich und ganz natürlich dringt der Atem ein. Klares kosmisches Qi wird aufgenommen und trübes verbrauchtes Qi aus dem Körper ausgestoßen. Diese „Atmung des Späten Himmels“ verwandelt sich in der Übungspraxis zur „Embryonalatmung“; die auch als höchste Harmonie der Atmung bezeichnet wird. Ziel dieser

Atmung des frühen Himmels ist es, eine Atemtechnik zu entwickeln, die der eines Embryos im Mutterleib ähnelt. Wie ein Embryo durch den Nabel atmen heißt, dass das mit der Luft eingeatmete kosmische Qi auch während der Ausatmung im Unterbauch, dem unteren Dantian, bewahrt wird und von dort durch den ganzen Körper zirkuliert. Man übt bis sich „die Kehle mit süßem Tau“ benetzt.

Die 3 Vitalsubstanzen

Jing (Essenz), Qi (Lebenskraft) und Shen (Geist) sind die 3 Vitalsubstanzen -Schätze – des Menschen. Sie haben ein und denselben Ursprung, unterscheiden sich nur in ihrer Funktion und in ihrem Aggregatzustand. Die erste Stufe der alchemistischen Praxis

ist die Anreicherung und Konsolidierung der Essenz. Diese ist in den Nieren und im Unteren Dantian zuhause und wird von Qi kontrolliert und unterstützt. Dies geschieht durch das Sammeln von Qi in bestimmten Zentren, insbesondere dem Erwärmen des Unteren Dantian, durch die Aufhebung bestehender energetischer Blockaden, durch eine Öffnung der Gelenke und Meridiane, durch ein erstes Lenken und Leiten von Qi mit Hilfe der Vorstellungskraft und dem Beruhigen des Alltagsgeistes mittels der Atmung (s,o.). Dabei gilt unbedingt, dass das Bewahren von Jing nur gelingen kann, wenn man das Qi bewahrt. Dringt die Energie,das Qi, nach außen, strömt auch die Vitalltät; das JING; mit aus.

Die zweite Stufe der alchemistischen Praxis vollzieht sich im Mittleren Dantian. Die Läuterung und Verfeinerung des Qi und seine Transformation in geistige Energie dient der Entwickluung der eigenen Wesensnatur. Der körperliche Aspekt des Qi wird hier unmittelbar mit dem ethischen verbunden. Denn Energiearbeit bleibt etwas in sich selbst Unvollkommenes, solange sie nicht mit spirituellem Wachstum einhergeht. Die Vitalität und Gesundheit eines Menschen steht in enger Korrespondenz mit der Entfaltung seiner Tugenden. Fühlt sich der Körper wohl, ist auch das Herz weit. Offene Selbstlosigkeit ist die Behausung des DAOS. Dann blühen Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit. Voraussetzung bei dieser moralischen Entwicklung ist hierbei die Fähigkeit zu längerem ruhigen Sitzen, das nichtwertende Wahrnehmen und Beobachten von Phänomenen, die Überwindung des Zweifels, das Führen des Atems und die damit einhergehende Zähmung des Gedankenpferdes sowie die Bändigung des Herzaffens durch Erkennen und Bearbeiten seiner eigenen Emotionalität.

Die Wandlung des Geistes in die Leere ist schlieslich der letzte Prozess auf der dritten Stufe der Energiearbeit. Dieser steht in enger Beziehung zum Oberen Dantian. Der Spruch „Die 3 Blüten sammeln sich in der Kopfspitze“ benennt hier die Metamorphose der drei Vitalsubstanzen. Ihre Arbeit vollzieht sich jeweils in vier Schritten:

Sammeln – Läutern – Vereinen – Bewahren/Bewachen

Die Kultivierung und Umgestaltung unseres Wesens unter Zuhilfenahme der 5 Wandlungsphasen (WUXING) ist das innere Werk, welches tägliches Wachstum ermöglicht. Indem man den Wahren Geist in sich, den YUANSHEN, sammelt und nährt, vereinfachen sich die Dinge und Ereignisse des Lebens, wird das eigene Handeln weniger absichtsvoll und dramatisch erlebt. So betonte unser Lehrer Prof. Cong immer wieder: „Das Schicksal kommt vom Himmel, was aber der Mensch hier auf der Erde daraus macht, das bestimmt seinen inneren Frieden und sein äußeres Wirken. In deinem äußeren Tun und in deiner äußeren Erscheinung unterscheide dich nicht von anderen Menschen, aber dein Geist im Inneren ist nicht mehr der weltlich gesinnter Menschen.“

Die tägliche Übung der Achtsamkeit und das absichtslose Eintreten in die Ruhe sind die Voraussetzung für die Entstehung von Licht in Form der Biophotonen. Dieses weiße Licht kommt von Innen und wird mehr und mehr erkannt als ein Resonanzphänomen, als Antwort auf das Licht von oben. Hat dieses Licht Gestalt angenommen, nennt man es auch „Goldenes Elixier“ oder „Dantian-Embryo“.

Mache nichts zu deiner Heimstatt auf dem Weg/DAO“.

so heißt es in einem Script unserer österreichischen Qigong-Freunde, in dem auch der unten stehende Stufenweg beschrieben ist. Der Weg des Himmels im bunten Spiel der Kräfte der Natur läßt uns alle wieder nach Hause kommen.

Die bewegte Übung ist der Zugang
das Stillsitzen das Ankommen
das Kreisen des Lichts ist das Öffnen der Pforte
dann erst beginnt die wahre Arbeit